Operation Casablanca

2010


88 Min.
Director Statement
Wir leben in einer Welt, in der ein Unschuldiger als ein Schuldiger gilt, der davon lediglich noch nicht weiß. Wer von uns wäre da schon gern an der Stelle von Saadi? Er wird allein deshalb schon vorab verurteilt, weil sein Profil ihn so perfekt verdächtig macht: Er ist jung, Araber, illegaler Einwanderer, Moslem, arm … Das heißt, er ist ganz zwangsläufig gefährlich! Warum also macht man aus diesem jungen Bürger unserer Welt einen möglichen Helden des 21. Jahrhunderts? Warum nicht? Es ist heutzutage unmöglich, die grausamen Gewalttaten des radikalen Islam zu übersehen. Sie sind in allen Medien präsent. Das gilt auch für die immer totalitärer werdenden Reaktionen der westlichen Regierungen, die von den täglich destabilisierenderen Bedrohungen und Angriffen überrollt werden. Die breite Öffentlichkeit des Nordens und des Südens, zu der ich auch gehöre, wird zur Geisel einer Spirale des Terrors. Wir haben nicht die geringste Chance, Luft zu holen, Abstand zu nehmen, oder zu versuchen, uns mit den Gründen oder dem Ursprung dieses gegenwärtigen ideologischen und politischen Verfalls zu befassen. Deshalb möchte ich den Zuschauer auf Saadis fantastisch anmutende Reise mitnehmen. Saadi ist unschuldig, sieht aber aus, wie man sich einen Schuldigen idealerweise vorstellt, und wird daher verdächtigt, ein gefährlicher Terrorist zu sein. Ich hoffe, dass die absurden Widrigkeiten, in die diese Figur hineingezogen wird, unserem kritischen Geist etwas frische Luft zuführen und zugleich unsere Lachmuskeln trainieren. »Operation Casablanca« ist eine schnelle Actionkomödie. Sie geht frontal und unverblümt jene zeitgenössischen Themen an, um die sich das aktuelle Kino noch immer herumdrückt: islamistischer Terror, religiöser Extremismus, Sicherheitsfanatismus und die totalitären Tendenzen der westlichen Gesellschaften. »Operation Casablanca« nimmt Anleihen am Genrefilm, ohne sich einer ernsthaften Auseinandersetzung mit diesen Themen zu versagen. Dabei verteidigt der Film einen Standpunkt der Komödientradition: castigat ridendo mores (durch das Lachen die Sitten zu geißeln). Für mich ist die Komödie eine Art Rettungsboot in einer Welt, die täglich ein bisschen absurder wird. Sie ermöglicht es uns, die Wirklichkeit durch den Filter der Fiktion zu beobachten und bietet den Zuschauern das Vergnügen an der unmittelbaren Erfahrung und die Quintessenz einer Reflektion. Ich möchte die Zuschauer zum Lachen bringen, ihnen Angst machen und sie zum Nachdenken anregen. Dieser neue Spielfilm steht in enger Verbindung mit einer immer lähmenderen Wirklichkeit, der man aber auch einmal entfliehen muss – und sei es zum Preis einer schallenden Ohrfeige. In gewisser Weise könnte dieser Film auch Hitoshi Igarashi (1947-1991) gewidmet sein, dem japanischen Übersetzer der »Satanischen Verse« von Salman Rushdie. Er war ein leidenschaftlicher Islamwissenschaftler und wurde im Alter von 44 Jahren auf dem Gelände der Universität im Norden Tokios erstochen, wo er lehrte. Die Hintergründe seiner Ermordung wurden niemals wirklich untersucht. Drehbuch Das derzeitige Drehbuch bietet eine ausgewogene Mischung aus genregemäßer Handlung und burlesker Komödie. In der letzten Zeit habe ich das Drehbuch in seinen verschiedenen Stadien immer wieder einem Kreis kritischer Leser vorgelegt, die damit eine Art erstes Publikum darstellen. Denn ich möchte, dass »Operation Casablanca« die Zuschauer sowohl durch das Thema berührt als auch durch die Art und Weise, wie ich es behandle. Ich lege Wert darauf, dass der Film seine populäre Dimension voll ausspielen kann. Ich liebe die Vorstellung, dass man im Kino gemeinsam davon überrascht wird, wie man über politisch unkorrekte Situationen lacht. Die Entwicklung des Drehbuchs von »Operation Casablanca« hat von mehreren Seiten Unterstützung erfahren und davon jeweils stark profitiert. Im Anschluss an das »Atelier Grand Nord« bin ich mit OLIVIER LORELLE (César 2007 für das Drehbuch von »Indigènes/Tage des Ruhms«, Regie Rachid Bouchareb) und mit PIERRE PAUL RENDERS (belgischer Drehbuchautor und Regisseur) sowie mit JACQUELINE SURCHAT (Schweizer Drehbuchautorin) in Kontakt geblieben. Deren qualifizierte Anmerkungen konnten auf denjenigen von SIMON MICHAEL aufbauen, der die Entwicklung des Treatments begleitet hat. Dies alles hat es mir erlaubt, zu der aktuellen Version zu gelangen, die nun eine echte Actionkomödie darstellt und zugleich viel Platz für Satire und Sozialkritik lässt. Zurzeit befinde ich mich in der Phase der technischen Vorbereitung. Ich plane, weite Teile des Drehbuchs als Storyboard vorzubereiten. Das betrifft insbesondere die Actionsequenzen. Sie können dadurch klar visualisiert werden, um somit dem Drehteam die Details präzise und in der Umsetzung effizient zu vermitteln. Bereits zuvor habe ich bei den meisten meiner Filme und bei anderen Projekten erfolgreich auf das Storyboard zurückgegriffen (»Il neige à Marrakech«, »Fragile«, »Schenglet«). Visualisierung »Operation Casablanca« ist ein Film mit starken Farben, der immer in Bewegung ist. Deshalb braucht er eine lebendige, teilnehmende Kamera, die das Ziel verfolgt, der Geschichte und den Figuren durch eine fliessende und durchschlagende Visualisierung zu dienen. Ich möchte bei diesem Film mit gewagten Bildausschnitten experimentieren, die das Anliegen des Drehbuchs unterstützen und den Zuschauer mitten ins Herz der Handlung mitnehmen. Ich würde dabei gern mit einem kanadischen Team arbeiten. Die Erfahrung der Kanadier in Bezug auf die visuelle Umsetzung von Actionsequenzen ist wohl hinlänglich bekannt und hat ihre Qualität bereits bewiesen. Dabei ist die kanadische Tradition eng mit dem nordamerikanischen Kino verbunden und schließt im Gegensatz zu unserer Tradition das Genre vollständig mit ein. Dies verspricht meines Erachtens gerade in Bezug auf die Bildgestaltung und auf die Rhythmisierung eine effiziente und überzeugende Arbeit während des Drehs. Tongestaltung und Musik Der Ton ist ein grundlegendes Element von »Operation Casablanca«. Er zieht uns mitten hinein in einen pulsierenden Rhythmus aus Action und treffsicheren Dialogen. Aus diesem Grund arbeite ich vorzugsweise mit Originalton. Auf diese Weise lässt sich die Energie der Schauspieler ebenso bewahren wie die Dynamik ihres Spiels. Die Arbeit an einem konsistenten Sounddesign ist für die Postproduktion vorgesehen. Dies betrifft vor allem die Actionsequenzen. Aber auch die unterschiedlichen Tonebenen des Films sollen hervorgehoben werden: Ton aus dem Off (z.B. aus den Ohrknöpfen), Fernseher, Telefone usw. Diese Elemente der Tongestaltung sollen die Rolle unterstreichen, welche die Technik der Informationsübermittlung spielt, die wiederum eng mit den Spionageelementen des Films verbunden ist. Die musikalische Gestaltung wird RAMACHANDRA BOCAR anvertraut, den ich in Montreal kennen gelernt habe und dessen bisherige Arbeit mich sehr inspiriert hat. Zusammen mit ihm würde ich gern Mittel und Wege finden, wie man die Musik von Okzident und Orient zusammenbringen kann, ohne in die Klischees der Weltmusik zu verfallen. Seine Erfahrung und sein Interesse an dem Drehbuch versprechen schon jetzt eine leidenschaftliche Zusammenarbeit. Die Musik wird die emotionale Dimension erheblich verstärken. Für mich besteht darin die ganze Kraft der Tonspur im Kino. Um dies zu erreichen, würde ich gern eine große und vielfältige Anzahl von realen Instrumenten einsetzen. Ich würde gern der Originalkomposition den Vorzug geben und den Erwerb von bereits existierenden Musikstücken auf das Nötigste beschränken. Schließlich plane ich den Einsatz von Cover-Versionen, da ich die Kraft, die von solchen Adaptionen ausgeht, sehr schätze. Ich habe damit bereits Erfahrungen gesammelt, insbesondere bei »Pourquoi c’est toujours les trains qui partent et jamais les gares«, einer Rock-Version des Frank-Sinatra-Songs »I’ve Got My Love to Keep Me Warm«. Das gilt auch für die Neuinterpretation des Tangos »Youkali« von Kurt Weill, das wie eine nostalgisch gefärbte Ballade ins Spanische übertragen wurde. Für »Operation Casablanca« drängt sich bereits seit langem der Titel »Lust For Life« von Iggy Pop auf. Er illustriert meiner Meinung nach sehr genau die Gefühlswelt der Hauptfigur in jenen Momenten, in denen er mit seiner Wahrheit konfrontiert wird. Künstlerisches und Technisches Team Alle vorgesehenen Schauspieler und Schauspielerinnen haben das Drehbuch bereits zur Kenntnis genommen. Wir tauschen inzwischen zahlreiche Eindrücke, Informationen und Kommentare aus, welche die Interpretation der Rollen betreffen. Der Film stützt sich sehr stark auf die Schauspieler. Ihr kreativer Beitrag und ihre Vorschläge werden im Drehbuch insgesamt, aber auch in der Gestaltung der Szenen und der Dialoge so weit wie möglich berücksichtigt. Im weiteren Verlauf sehe ich eine angemessene Zeit für Proben vor, die es den Schauspieler/innen erlaubt, sich den Figuren im Vorfeld der Dreharbeiten anzunähern und damit eine wirkliche Verkörperung der Rolle zu erreichen. Dies folgt der Arbeitsweise, die ich bereits bei »Fragile« erfolgreich angewandt habe. Gesucht wird dabei weniger eine bestimmte Art von Realismus. Vielmehr geht es um die Wahrscheinlichkeit der Verhaltensweisen der Figuren im Rahmen dieser sehr spezifischen Fiktion, die dem Burlesken und der Situationskomik eine besondere Bedeutung zumisst. Ich stütze mich dabei einerseits auf das Talent von Schauspielern, die das Publikum schätzt, wie DIDIER FLAMAND, ZINEDINE SOUALEM und CARMEN MAURA, aber auch auf weniger bekannte Schweizer Schauspieler, deren Talent dennoch nicht zu leugnen ist, wie GILLES TSCHUDI und CARLOS LEAL. Zudem vertraue ich der Energie, dem Talent und dem Sinn für Komik von ÉMILE PROULX-CLOUTIER, den ich zwei Mal in Montreal treffen konnte. Damit hoffe ich, den Zuschauern eine explosive Mischung anbieten zu können, die dieser Actionkomödie vollkommen entspricht. Die Hauptrollen möchte ich gern TAREK BAKHARI und KAORI TSUJI anvertrauen. Beide haben auf den verschiedenen Castings in Frankreich, Japan und Marokko auf sich aufmerksam machen können und erstklassige Interpretationen geboten. Diese beiden jungen Schauspieler sind zwar dem breiten Publikum noch nicht bekannt. Sie werden sich aber auf dem höchsten Niveau entfalten und auf diese Weise das Publikum von ihrem großen Potenzial überzeugen. Das technische Team wird in Bezug auf die kanadische Crew im Bereich Kamera von YVES BÉLANGER repräsentiert, mit dem wir bereits die visuelle Konzeption dieses Films vorbereiten. Daneben lege ich Wert darauf, mich mit Schweizer und internationalen Mitarbeitern zu umgeben, mit denen ich schon erfolgreich zusammengearbeitet habe. Ich freue mich auch, mit JEAN FRENETTE zu arbeiten, was die Choreographie und die Koordination der zahlreichen Actionszenen dieses Films angeht. Seine Erfahrung und sein Können bringen unzweifelhaft einen außerordentlichen Mehrwert in das Projekt ein. Er wird dazu beitragen, den schnellen Rhythmus und die Aufsehen erregenden Elemente dieses Spielfilms zu verstärken. Szenenbild Ein weiteres Mal spielt eine meiner Geschichten in Genf. Ich bin vom Potenzial dieser Stadt als Location für Spielfilme überzeugt. Es wird viel zu selten genutzt. »Operation Casablanca« ist gesättigt mit dieser spezifischen lokalen Realität und inszeniert die Internationalität von Genf sowohl in der Handlung als auch bei der szenischen Umsetzung des Films. Das Szenenbild wird eher naturalistisch sein. Die Locations werden sowohl auf Grund ihres realistischen als auch ihres graphischen Aspekts auszuwählen sein. Ich plane zudem, einige Locations in der Region Zürich hinzuzuziehen. Hier finde ich ergänzend die Räume und die natürliche Umgebung, die dem Kontext dieser Geschichte am besten dienen. Schließlich wird das stark farbige Finale auf radikale Weise zu den Schweizer Szenenbildern in Kontrast stehen. Diese sind eher glatt und feindlich für die Hauptfigur, die der nördlichen Umgebung gegenüber auch visuell unangepasst erscheint. Mit diesem neuen Film hoffe ich, dem Publikum eine Prise Frischluft anzubieten, um einmal tief Luft zu holen inmitten der tyrannischen Realität, die unseren Geist zurzeit in Geiselhaft genommen hat. Laurent Nègre